Chicago in den Dreißigerjahren, Fleischindustrie, Wirtschaftskrise, drohende Arbeitslosigkeit: Die street workerin Johanna Dark möchte das Leid der zahlreichen arbeitslose oder schlecht bezahlten Fleischindustriearbeiter*innen lindern. Die Frage ist aber, welchen Preis man zu bezahlen bereit ist, um die Fabrikbosse dazu zu bringen, nicht bloß an den eigenen Profit zu denken. Brechts sozialpolitisches Drama erzählt von der Vergeblichkeit sozialer Kompromisse in der Krise und der negativen Wirkung religiöser Organisationen, die letztlich nur den Reichen und Mächtigen dienen und damit die herrschenden Verhältnisse nicht verändern.
»Full Hands Empty Hearts / It’s a Suicide World Baby.« Der Song, der in Zehs dystopischem Deutschland in Jahre 2025 ein Hit ist, spricht Bände. Das Land hat einen Rechtsruck hinter sich und die nihilistische Protagonistin Britta ist stellvertretend für eine an Politik desinteressierte Mehrheit, die diesen Zustand zu verantworten hat. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Babak hat sie die ›Brücke‹ ins Leben gerufen, eine psychotherapeutische Institution, welche suizidale Menschen entweder heilt oder – wenn der Wunsch zu sterben nicht vergeht – zu Selbstmordattentätern rekrutiert: Sie widmen ihren Tod einem Zweck wie z.B. dem Natur- oder Tierschutz. Eine so eigenwillige wie einträgliche Geschäftsidee. Doch dann wird ein Selbstmordanschlag verübt, dessen Attentäter aus einer Konkurrenzorganisation zu stammen scheinen. Und die schöne Julietta taucht auf und provoziert Britta durch ihre Entschlossenheit. Aus diesen Konflikten entwickelt sich ein recht handlungsorientierter Thriller, in dessen Verlaufe sich Britta gezwungen sieht, ihre politische Haltung und ihre ethischen Maßstäbe zu hinterfragen. (Bild)
Darf man mit gewaltsamen Mitteln eine Utopie verwirklichen, um für Gerechtigkeit herzustellen? Und wohin mit der Schuld? Die Intellektuelle Sonja Irene L. solidarisiert sich mit dem revolutionären Proletariat und tritt aktiv für die Befreiung und Verbrüderung aller Menschen ein, gegen den Willen ihres Mannes, der mit der Regierung zusammenarbeitet und nach dem Ersten Weltkrieg gute Geschäfte macht. Sonja zögert nicht, ihre Beziehung den vordringlicheren Interessen der »Masse« zu opfern. Toller verwendet in seinem expressionistischen, klassenkämpferische Stück eine ekstatisch-verkürzte Sprache und Traumbilder, die auf das antike Trauma zurückgreifen. (Bild: Szenenbild einer Umsetzung von 2012)
Maria Stuart, Königin von Schottland auf der Flucht, wird von ihrer Verwandten Elisabeth, Königin von England, festgehalten. Offiziell lautet die Anklage Hochverrat, doch im Grunde fürchtet Elisabeth, die für ihre Schönheit und Sinnlichkeit berühmte und beliebte Maria könnte ihr, der Spröden und Unsicheren, den Thron streitig machen wollen. Das Drama beginnt drei Tage vor Marias Hinrichtung und erzählt die Geschichte von der programmatischen Läuterung der Titelfigur ganz im Sinne der idealistischen Weltanschauung der Weimarer Klassik. Bild: Ausschnitt einer Inszenierung am Hamburger Thalia Theater 2014, Regie: Stephan Kimmig.
Um ihren spielsüchtigen Vater vor dem Konkurs zu retten, soll sich die junge und eh schon instabile Else vor einem der Gläubiger nackt zeigen. Das zwingt sie, sich zwischen ihrer Liebe zu den Eltern und selbst-bestimmter Weiblichkeit entscheiden. Das Ganze hat die Form eines langen Monologs, in dem die Vorgeschichte aufgerollt und die laufenden dramatischen Ereignisse erzählt werden. Bild: Collage einer Duisburger Inszenierung 2012.
Fluch? Erlösung? Flucht? Katharsis einer Familie? Die Inkommensurabilität des Ungeziefers, das einst Gregor Samsa hieß und mit den Gefühlen eines Menschen ausgestattet ist, hat Epoche gemacht. Zur Ikone konnte der Protagonist deshalb nicht werden, weil Kafka selbst fand, das Ungeziefer sei nicht darstellbar. (Darstellung)
Juli Zeh gehört seit ihrem Roman ›Spieltrieb‹ (2004) zu einer der gefragtesten Autorinnen und intellektuellen Persönlichkeiten Deutschlands. ›Corpus Delicti‹, eine dystopische Vision einer Art Gesundheitsdiktatur, befasst sich mit vielen politischen wie philosophischen Fragen, die uns in Zeiten von Corona sehr vertraut vorkommen: Wieviel Freiheit ist uns unsere Gesundheit wert? Wie weit soll und darf der Staat uns Normen auferlegen? Welches Gewicht messen wir unserer mentalen Gesundheit bei? Was ist das gute Leben? etc. Zur Handlung: Die kluge Mia Holl trauert um ihren verstorbenen Bruder und gerät mit den geltenden Regeln in Konflikt, bis sie sich zu einer Entscheidung durchringt: Wofür lebt sie und was ist sie bereit dafür zu opfern? (Bild)
Die Bürgerstochter Emilia, gerade frisch getraut, gerät in die Fänge des gelangweilten Regenten, der sich in sie verguckt hat und entschlossen ist, sie notfalls mit Gewalt auf sein Lustschloss (!) zu entführen, um sie dort zu vernaschen. Der skrupellose Regent hat einen nicht minder schlüpfrigen Assistenten: Marinelli hat die Drecksarbeit für den Fürsten zu erledigen, und tut dies mit einem Sprachwitz, der an Goethes Mephisto erinnert. Er kommt allerdings an seine Grenzen, nicht zuletzt als ihn Gräfin Orsina zur Rede stellt, die Exgeliebte des Fürsten, was dann Trauerspiel hin, Trauerspiel her, sehr lustig anzusehen ist. Lessing hat’s eben drauf, die Gratwanderung zwischen Tragik und Komik. Bild: Nina Hoss als Emilia in der Fassung des Deutschen Theaters Berlin 2001 (Regie: Michael Thalheimer, siehe unten)