Die Autorin schreibt in ihrem Stadtfluchtroman einmal mehr nah an den virulenten Gegenwartsthemen und sie hat ein Flair für Figuren, die ein Weltbild verkörpern. Hauptsächlich ist es die Geschichte einer Neuorientierung, die 30jährige, sehr trendige Marketingfachfrau flieht vor ihrer kriselnden Beziehung mit ihrem Freund, einem neuvegannen Thunbergianer, Journalisten und Coronaparanoiker, und zwar flieht sie ins unbekannte Land Brandenburg, kritische 90 Minuten weit entfernt von Berlin. Dort findet sie sich in einem andren Universum wieder – und mit dem ersten Lockdown ist sie gezwungen, sehr autark zu funktionieren. da werden die Nachbarn wichtiger, auch wenn sie AFD wählen oder verwahrloste Kinder sind.
Ungeheuer spannend und bedrückend erzählt der 23-jährige Autor von einem jüdischen Kaufmann, der direkt nach den Novemberpogromen gegen die Juden im November 1938 Nazideutschland verlassen möchte und nicht weiß, wie. An seiner Seite erlebt man mit, wie es sich anfühlt, wenn man plötzlich per se verdächtig ist und sich selber dauernd reflektiert, weil man befürchtet, die eigene Furcht verrate einen. Die Figuren, Gespräche und Begegnungen lehren einem viel darüber, was Macht und Ohnmacht mit uns anstellt: die Verfolgten fallen aus der Welt, deren fester Bestandteil sie eben noch waren; diejenigen auf der sicheren Seite nützen die neue Position aus oder verlangen vom Verfolgten ein Dankeschön, wenn sie es nicht tun. Und nicht mal die Verfolgten untereinander können sich noch trauen. (Photo by 39422Studio from Pexels)
Chicago in den Dreißigerjahren, Fleischindustrie, Wirtschaftskrise, drohende Arbeitslosigkeit: Die street workerin Johanna Dark möchte das Leid der zahlreichen arbeitslose oder schlecht bezahlten Fleischindustriearbeiter*innen lindern. Die Frage ist aber, welchen Preis man zu bezahlen bereit ist, um die Fabrikbosse dazu zu bringen, nicht bloß an den eigenen Profit zu denken. Brechts sozialpolitisches Drama erzählt von der Vergeblichkeit sozialer Kompromisse in der Krise und der negativen Wirkung religiöser Organisationen, die letztlich nur den Reichen und Mächtigen dienen und damit die herrschenden Verhältnisse nicht verändern.
Was man heute von den skandalösen Bedingungen der Textilindustrie z.B. in Bangladesh weiß, galt im 19. Jahrhundert für die Webindustrie z.B. in Schlesien (im heutigen Polen und Tschechien gelegen). Hauptmann hat mit diesem sozialen Drama in fünf Akten ein Sittengemälde rund um den dortigen Weberaufstand 1844 entworfen, um die sozialen und politischen Dimensionen des Konflikts zu verdeutlichen. Es ist in Dialekt geschrieben, an den man sich beim Lesen ziemlich gut gewöhnt.
»Ich bin ein typischer Sohn jener harmlosen Deutschen, die niemals Nazis waren und ohne die die Nazis doch niemals ihr Werk hätten tun können.« Ein guter Satz, so einfach wie angriffslustig. Er illustriert exemplarisch die Haltung des Autors, der 14 war, als Hitler Kanzler wurde, als Zwanzigjähriger in Hitlers Krieg ziehen musste und mit Mitte vierzig die Auschwitz-Prozesse im Gerichtssaal miterlebte. Krügers neu aufgelegte autobiographische Erzählung ist etwas vom Besten und Zugänglichsten zur Frage deutscher Schuld. Krüger setzt sich mit dem Milieu seiner Jugend auseinander, sucht seine eigene Rolle als Freund eines Nazigegners, erlebt nochmals seine Zeit als Häftling der Gestapo. Seine Erfahrungen als Soldat im Krieg spart er aus, zugunsten eines sehr starken letzten Kapitels. Dort erzählt er auf beklemmende Weise, wie er 1964 die Frankfurter Auschwitz-Prozesse erlebt, in denen ein ganzes Volk, das gerade wieder wirtschaftlich auf die Beine kam, sich mit seinen verdrängten Verbrechen konfrontiert sieht. Die ganz normalen Menschen und ihre ganz unnormale Vergangenheit.
1933: Faschismus, Kino und Japan. Der NZZ-Rezensent meint dazu: Indem »Kracht mit dem [historischen Kulturjournalisten] Kracauer auf den Stummfilm und das stumme Grauen des aufziehenden Nazi-Terrors ] bringt er die Barbarei zum Sprechen«. (NZZ vom 10.9.16)Überblick
Wer hat die Katze auf die Maus aufmerksam gemacht? Was kann die Maus tun, um sich zu retten? Schauplatz: Das polnische Danzig, mitten im Zweiten Weltkrieg. Der Gymnasiast Joachim Mahlke wird für sein Aussehen gemobbt, bis er sich so weit hochkämpft, dass er dafür Bewunderung erntet, als Mitschüler beim Tauchen und Onanieren sowie als Soldat mit der Panzerfaust. Dass er dann verschwindet, hat womöglich mit seinem Freund Pilenz zu tun, der uns die ganze Geschichte erzählt und der ein schlechtes Gewissen hat. Bild: Still einer Verfilmung von 1967.
Büchners bissige, als Komödie bloß getarnte Politsatire offenbart die am königlichen Hof herrschende dekadente Langeweile und Hohlheit: Ein Prinz und eine Prinzessin befinden sich unabhängig voneinander auf der Flucht vor einer Eheschließung, zu der sie verdonnert wurden. Das Volk muss Beifall klatschen, darf aber wenigstens am Braten riechen. Na, das ist doch immerhin was. (Bild: Szene aus einer Inszenierung von Robert Wilson am Berliner Ensemble 2003)
›Deutschstunde‹ heißt der Roman, weil er eine zentrale Frage Nachkriegsdeutschlands stellte: Wie groß war der Spielraum der vielen, die in Hitlerdeutschland Befehle ausführten? Oder stellten sich manche diese Frage nicht? Der exemplarische Fall eines Dorfpolizisten, der einem befreundeten Künstler gegenüber ein von oben erteiltes Malverbot durchsetzen soll, wird aus der Warte von dessen Sohn Siggi erzählt, der dem Maler näher als der eigene Vater steht. (Bild: Szene aus der Verfilmung von 1971)
Der Roman erzählt vom Ende des Zweiten Weltkriegs aus der Perspektive eines fanatischen Akustikers im Dienste der Nazis und aus der Sicht einer der Töchter Goebbels. Er erzählt von der Instrumentalisierung der Sprache durch die Propaganda und von Experimenten mit menschlichen Stimmen. (Bild)