Lola-Typus

Barbara Sukowa in der Rolle der Lola in Fassbinders gleichnamigem Film von 1981.

Zum Begriff ›Lola-Typus‹ und dem Verhältnis zu verwandten Motiven

Der Begriff ist aus Fassbinders Film ›Lola‹ entlehnt. Alternativen wären z.B. die ›die edle Prostituierte‹, das ›leichte Mädchen‹ mit Herz. Um die negative Bewertung nicht zu reproduzieren – und weil sie in vielen Fällen nicht mehr zeitgemäß ist –, heißt das Motiv jetzt etwas kryptisch ›Lola-Typus‹.

Das Motiv vereint Figuren, die nicht leicht in einer einzigen Wendung zu fassen sind und auch unter anderen Stichworten figurieren.

Weibliche Promiskuität wurde und wird viel stärker verurteilt und sanktioniert als männliche. In den meisten Kulturen gab – und gibt es heute noch – die patriarchalisch wertende Wendung der ›gefallenen Frau‹ oder der ›Frau mit Vergangenheit‹, die sich leicht ›weggibt‹ oder ›verschenkt‹. Gemeint sind Frauen, die entweder schon eine mehrere uneheliche Beziehungen hinter sich haben, ihren Mann betrogen haben und von ihm verlassen wurden, als Geliebte ausgedient haben oder aus anderen Gründen unverheiratet sind. Das macht sie zur Projektionsfläche für erotische Phantasien und zur vermeintlich leichten Beute für Männer auf der Suche nach dem schnellen Abenteuer. Hier berührt sich das Motiv mit der Femme fatale und dem der Verführerin.

Manche der Figuren lassen sich aus Not (Einsamkeit, Geld) auf Männer ein. Lebenserfahren und oft leidgeprüft, verfügen sie über einen nüchternen Blick auf die ›gute‹ Gesellschaft, besonders was die Männer betrifft. Ihre Erfahrungen haben ihnen den Respekt vor Moral und Gesetz genommen, was sie für die Rolle der Komplizin prädestiniert. Sie sind oft pragmatisch, kompromisslos, selbstbewusst und kämpferisch, wollen sich von keinem einzelnen Mann mehr abhängig machen. Hier besteht ein Berührungspunkt zur Amazone und zum Motiv Kampf um die eigene Würde.

Außerdem und andererseits bringen sie viel Verständnis und Hilfsbereitschaft für andere schwache Glieder der Gesellschaft auf. Als Außenseiterinnen mit Lebenserfahrung sind sie zumeist Nebenfiguren, die im Bedarfsfall den Protagonisten beistehen und sich nicht selten preisgeben oder aufopfern – siehe dazu den Eintrag zum Motiv der Märtyrerin.

Weltliteratur

Marguerite Duras: L’Amant / Der Liebhaber (1984)

Deutschsprachige Literatur

Gotthold E. Lessing: Miss Sara Sampson (1755)

Gotthold E. Lessing: Emilia Galotti (1772)

Friedrich Schiller: Kabale und Liebe (1784)

Friedrich Schlegel: Lucinde (1799)

Theodor Fontane: Cécile (1886)

Frank Wedekind: Totentanz (1905)

Hermann Hesse: Siddharta (1922)

Walter Serner: Die Tigerin (1925)

Arthur Schnitzler: Traumnovelle (1925)

Hermann Hesse: Der Steppenwolf (1927)

Bertolt Brecht: Der gute Mensch von Sezuan (1949/43)

Thomas Melle: 3000 Euro (2014)

Film

Irma la Douce (Billy Wilder, USA 1960)

Rainer Werner Fassbinder: Lola (1981)

Blue Velvet (David Lynch, USA 1986)

Pretty Woman (Garry Marshall, USA 1990)

Mifune (Søren Kragh-Jacobsen, Dänemark 1999)

Cloaca (Willem van de Sande Bakhuyzen, Niederlande 2003)

Irina Palm (Sam Garbanski, GB 2007)

Auf der anderen Seite (Fatih Akin, D/Türkei 2007)

To Rome with Love (Woody Allen, USA 2012)

Glück (Doris Dörrie, D 2012)

The Flowers of War (Zhang Yimou, China 2012)